Antizionismus und Antisemitismus
Wolfgang Kraushaars Buch über die antisemitischen Wurzeln des deutschen Terrorismus ist ein Meisterwerk
Von Stefan Schweizer
Seit Jahrzehnten führt an Wolfgang Kraushaar kein Weg vorbei, wenn man sich mit der 68er-Revolution und dem deutschen Linksterrorismus beschäftigt. Immer wieder hat Kraushaar seine Gelehrigkeit, sein profundes Wissen und seine präzise wissenschaftliche Vorgehensweise unter Beweis gestellt. Dabei ist es Kraushaar gelungen, auch fernab des zum Teil popkulturell geprägten Diskurses um die Rote Armee Fraktion eigene Akzente zu setzen.
Sein Meisterwerk ist ihm nun mit seinem Buch „,Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel?‘: München 1970: über die antisemitischen Wurzeln des deutschen Terrorismus“ gelungen, das im Rowohlt Verlag erschienen ist. Wurde bisher davon ausgegangen, dass der Beginn des linksradikalen bundesdeutschen Terrorismus die Baader-Befreiung war, so korrigiert Kraushaar diesen Irrtum. Zwar waren die Anfänge um die Umherschweifenden Haschrebellen und Tupamaros durchaus bekannt. Jedoch erweckten autobiografisch inspirierte Schriften wie Bommi Baumanns „Wie alles anfing“ den Eindruck, dass terroristische Episoden vor der RAF eher experimentellen und spaßhaften Charakter besaßen.
Kraushaar zeigt eindrucksvoll auf, dass bereits 1970 in München eine Anschlagsserie gegen Juden stattgefunden hat. Flugzeugentführungen und Brandstiftungen forderten zahlreiche Todesopfer. Diese Taten wurden, obwohl es damals eine umfangreiche Berichterstattung dazu gab, aus dem kulturellen Gedächtnis Deutschlands gelöscht. Es ist Kraushaars großes Verdienst, uns diese Terror-Taten durch seine mustergültige Rekonstruktion erneut vor Augen zu führen. In kriminalistischer Kleinarbeit und sachkundiger Quellen-Exegese weist der Autor Verbindungen deutscher Linker wie Kunzelmann und Teufel zu den radikalen Palästinensern nach. Dabei steht außer Frage, dass die deutsche Linke aktiv an antijüdischen Anschlägen beteiligt war. Die von den Linksterroristen behauptete Differenz von Antizionismus und Antisemitismus ist vor dem Hintergrund der deutschen Schuld im Nationalsozialismus und des Holocausts zynisch und nicht nachvollziehbar. Dass sogar die Rote Armee Fraktion noch in ihrer Auflösungserklärung auf ihre innige Verbindung zu den Palästinensern hingewiesen hat, belegt, dass der linke deutsche Terrorismus über die Jahrzehnte hinweg zumindest eine antizionistische Tendenz besaß.
Vor dem Hintergrund der Ereignisse von 1970 hätten die Organisatoren der Olympischen Spiele in München gewarnt sein müssen. Aber weder die Bundes- noch die Landesregierung Bayerns fühlten sich bemüßigt, strengere Sicherheitsvorkehrungen für das israelische Olympia-Team zu treffen, obwohl es im Vorfeld der Spiele immer wieder Hinweise auf drohende antisemitische Attentate gab.
Last but not least sei noch die erzählerische Qualität von Kraushaars Epos hervorgehoben. Der Autor braucht den Vergleich mit Ian Kershaws Studie „Das Ende“ keineswegs zu scheuen. So finden sich durchweg poetisch anmutende Passagen.
11. Juni 2013, literaturkritik.de