Zum Buch: "Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel?"
München 1970: Über die antisemitischen Wurzeln des deutschen Terrorismus
Inhalt:
"München 1970". Der Untertitel dieses Buches enthält eine Orts- und eine Zeitangabe sowie einen Referenzpunkt, den Verweis auf Olympia 1972: genauer den Überfall auf die israelische Mannschaft.
Damit soll nicht nur die Aufmerksamkeit auf eine in Vergessenheit geratene terroristische Anschlagserie gelenkt, sondern zugleich auch die Annahme einer möglichen Einheit von Ort und Zeit betont werden. Denn es ist zu fragen, ob die Abfolge mehrerer terroristischer Aktionen innerhalb von nur wenigen Tagen an ein und demselben Ort mehr als nur ein Zufall gewesen ist. Es spricht einiges dafür, dass es sich hier um eine Serie handelte, hinter der möglicherweise ein Regisseur gestanden hat.
Eines aber steht auf jeden Fall fest: Die Anschläge verbindet eine gemeinsame Zielsetzung. Sie richteten sich gegen israelische Staatsbürger und in der Bundesrepublik lebende Juden.
Auch wenn es bislang noch nicht erkannt worden ist, so kommt den zwischen dem 10. und dem 21. Februar 1970 in München oder von München aus verübten Terrorakten ein herausragender Stellenwert zu. In diesem Zeitfenster von nicht einmal zwei Wochen trugen sich gleich mehrere Dinge zu, die sich in die Geschichte des internationalen Terrorismus eingebrannt haben.
Mit dem Überfall vom 10. Februar auf dem Flughafen München-Riem wurde die Bundesrepublik erstmals zum Schauplatz des internationalen Terrorismus.
Beim Brandanschlag vom 13. Februar auf das Jüdische Gemeindehaus wurden nicht nur ältere Menschen, sondern Holocaust-Überlebende umgebracht – das war ein Verbrechen, das es in der Bundesrepublik in dieser Form weder zuvor noch danach gegeben hat.
Und mit den beiden am 21. Februar verübten Paketbombenattentaten versuchten palästinensische Terroristen zum ersten Mal, Zivilflugzeuge vom Himmel zu holen und ihre Insassen ins Verderben zu stürzen, ja geradezu auszulöschen. Das war eine neue Eskalationsstufe, die auch in den darauffolgenden Jahren und Jahrzehnten nur noch selten erreicht wurde.
So gravierend und einschneidend diese Ereignisse auch gewesen sein mögen, sie stellen zugleich ein komplexes ereignisgeschichtliches Gewebe dar, dessen Beziehungsgeflecht, dessen Vielschichtigkeit und Tiefendimension sich nicht so einfach, jedenfalls nicht auf Anhieb erschließen lässt. Jeder einzelne Teil des Geschehensablaufs ist so kompliziert, dass er seine innere Logik nur schwer verrät und sich einfache Antworten deshalb von vornherein verbieten.
Wie können die Ereignisse, ihre Akteure, ihre Opfer, ihre Hintermänner und Auftraggeber verstanden werden? Wie die einzelnen betroffenen oder involvierten Staaten, wie die diversen Guerillaorganisationen und Armeen, wie die jeweiligen Geheimdienste und ihre Agentennetze vor dem Hintergrund des Dauerkonflikts im Nahen Osten? Die einen sind unmittelbar in ihn verwickelt, die anderen können trotz ihrer großen geographischen Entfernung kaum unabhängig davon agieren. Das gilt insbesondere für die Bundesrepublik Deutschland, die aufgrund der NS-Vergangenheit mit dem jüdischen Volk in einer Art negativer Symbiose verbunden ist und diese nun im Hinblick auf Israel in eine konstruktive Beziehung zu wenden und neu zu gestalten versucht.
Buch-Kontext Allgemein: Audio : Radio- Deutschlandfunk Kultur - Zeitfragen Ludger Fittkau · 10.06.2020